IGPE logo
Gestaltete Zeit in den Künsten

27. Polyaisthesis-Symposium der Internationalen Gesellschaft für Polyästhetische Erziehung, 17.–19. März 2011 in Salzburg

Eine gemeinsame Veranstaltung der IGPE und des "Schwerpunkts für Wissenschaft und Kunst" der Paris Lodron Universität Salzburg und Universität Mozarteum Salzburg, eingebunden in den Ablauf der Salzburg Biennale 2011.

Nachfolgend die Programminhalte, danach die Abstracts zu einigen der Beiträge. Link zum Bericht über das 27. Symposium von Dr. H.Jung

 
Das programm umfasste u.a. die folgenden Beiträge:

Der Meister der Grenzüberschreitung – Begegnung mit Dieter Schnebel
Schülerinnen und Schüler des Privatgymnasiums St. Ursula Salzburg, des BORG-Akademiestraße, des BORG-Nonntal und des BG-Nonntal setzten sich mit Blasmusik und Gesums von Dieter Schnebel sowie in Klangszenen mit Texten von Franz Kafka und Ernst Jandl auseinander.

Polyästhetische Werkstatt mit Prof. Dr. Masayuki Nakaji, Gakugei University Tokyo, Japan (in dt. Sprache). Einblicke in die Arbeit des japanischen Musikpädagogen im Rahmen einer Lehrdemonstration und anschließender Diskussion.

Ateliergespräch zwischen Dieter Schnebel und Univ. Prof. Dr. Wolfgang Rathert
(initiiert vom Schwerpunkt Wissenschaft und Kunst)

Gestaltete Zeit – Reflexionen zum Entstehungsprozess der  im Solitär der Universität Mozarteum Salzburg vorgestellten Schülerproduktionen
Michaela Schwarzbauer im Gespräch mit Herbert Hopfgartner, Reinhold Kletzander, Oliver Kraft und Christa Musger. Mehr...

Stoppophonie – eine Gruppenkomposition für zwölf Instrumente und Stoppuhren als Beispiel für gestaltete Zeit in den Künsten
Steffen Reinhold (Hochschule für Musik und Theater Leipzig) Mehr...

Synchron – asynchron. Zeitbehandlung in dem MusikTheaterTanz-Stück Plejaden 4 – Asterope
Anja Winkler (Leipzig) Mehr...

Dieter Schnebel: Stuhlgewitter. Schülerperformance des Musikum Salzburg, Ltg. FLorian Müller

Kugelgestalt der Zeit – Bernd Alois Zimmermann und Augustinus
Barbara Dobretsberger (Universität Mozarteum Salzburg) Mehr...

Zeit der Stille – Zeit der Muße
Herbert Hopfgartner (Salzburg)  Mehr...

Aus dem Augenblick heraus: gestaltete Zeit in der polyästhetisch-heilpädagogischen Begegnung
Dietmar Jürgens (Katholische Fachhochschule NW, Standort Köln) Mehr...

Der zeitliche Verlauf des Werkschaffensprozesses: der Werkschaffensprozess ist nicht immer teleologisch
Ichiro Murata (Berlin) Mehr...

 

Abstracts der einzelnen Beiträge

Michaela Schwarzbauer im Gespräch mit Herbert Hopfgartner, Reinhold Kletzander, Oliver Kraft und Christa Musger

Gestaltete Zeit – Reflexionen zum Entstehungsprozess der  im Solitär der Universität Mozarteum Salzburg vorgestellten Schülerproduktionen

Im Gespräch werden die Herausforderungen an künstlerisches Gestalten im Klassenverband im Spannungsfeld zwischen kompositorisch Vorgegebenem und improvisatorischer Freiheit diskutiert. In mehrfacher Weise wird das Phänomen Zeit aufgegriffen: Wie gestalten sich in ganz pragmatischer Weise zeitliche Abläufe in Gestaltungsprozessen, denen durch den schulischen Kontext ein ‚auch‘ zeitlicher Rahmen verliehen wird? Inwiefern kommt dem bewussten Umgang mit Zeitstrukturen eine ordnende Funktion zu? Wie weit können Vorgaben Dieter Schnebels für Schülerinnen und Schüler in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts noch als ‚zeitgemäß‘ empfunden werden?

Steffen Reinhold (Hochschule für Musik und Theater Leipzig)

Stoppophonie – eine Gruppenkomposition für zwölf Instrumente und Stoppuhren als Beispiel für gestaltete Zeit in den Künsten

2007 entstand an der Thomasschule in Leipzig im Rahmen des Projekts „Schüler komponieren“ Stoppophonie – eine Gruppenkomposition für zwölf Instrumente und Stoppuhren. Auf der Grundlage einer gemeinsam erstellten graphischen Partitur komponierten Schüler Einzelstimmen, die in einem fünf-minütigen Zeitraster zusammengeführt wurden. Der lineare Musikverlauf wurde dabei durch die Überlagerung unterschiedlicher Zeitschichten aufgelöst. Gesteuert wurde der Ablauf mit einer groß projizierten digitalen Uhr und durch die jungen Komponisten selbst, die – ausgestattet mit Stoppuhren – den einzelnen z.T. versteckt agierenden Musikern des Orchesters assistierten.

Anja Winkler (Leipzig)

Synchron – asynchron. Zeitbehandlung in dem MusikTheaterTanz-Stück Plejaden 4 - Asterope

Sieben Berichte von Frauen über bedrohliche Situationen und deren Bewältigung bildeten gemeinsam mit dem Musikstück Zeit = Ungleich von Steffen Reinhold, Tanz von Tanja Ressel sowie Videosequenzen die Grundelemente für das MusikTheaterTanz-Stück Plejaden 4 – Asterope. In der Gestaltung der Musik lassen sich zwei Arten im Umgang mit Zeit unterscheiden: Während in den synchronen Teilen die Musiker im gleichen Zeitmaß spielen, werden die asynchronen Abschnitte dadurch bestimmt, dass die Musiker ihre eigenen Zeit‚Räume‘, bestimmt von ganz spezifischen Spannungskurven, erstehen lassen. Der Wechsel von Geordnetem und scheinbar Ungeordnetem, von Bündelung und Zerstreuung verleiht dem Stück einen eigenen Rhythmus. 

Barbara Dobretsberger (Universität Mozarteum Salzburg)

Kugelgestalt der Zeit – Bernd Alois Zimmermann und Augustinus

Die als „überdimensioniertes Gebet an Gott“ (Lissmann) verfassten Bekenntnisse des Augustinus sind Autobiographie und Philosophie zugleich. Desgleichen gilt für das musikalische Œuvre Bernd Alois Zimmermanns. Das Streben nach einem Erfassen und Erkennen des ‚Zeitflusses‘, der für Zimmermann zunehmend stärker als ein bedrückend unausweichlich Geschlossenes denn als Fluss wahrgenommen wurde, verbindet beide. Die auf Augustinus basierende Zeitphilosophie verkürzt dargestellt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bilden eine Einheit – kumuliert in Zimmermanns Musiktheater Die Soldaten. Das Schlagwort von der ‚Kugelgestalt der Zeit‘ vermag jedoch nur einen Teilaspekt der vielschichtigeren Zusammenhänge zwischen Zimmermann und Augustinus aufzuzeigen.

Herbert Hopfgartner (Salzburg)

Zeit der Stille – Zeit der Muße

Ausgehend von der Bedeutung, die Dieter Schnebel in einem Interview für die Thüringer Landeszeitung am 26. April 2010 dem Zen-Buddhismus zuweist, werden in essayistischer Form Tendenzen und Strömungen einer ostasiatischen Kunstästhetik vorgestellt. Der Daoismus und der daraus erwachsende Zen-Buddhismus haben namhafte Künstler des 20. und 21. Jahrhunderts maßgeblich beeinflusst. Einige Phänomene wie z.B. ‚Muße und Alltag‘, ‚Kunst, Kontemplation und Natur‘‚Zeitlosigkeit und Präsenz‘ sollen im Folgenden etwas genauer beleuchtet werden.

Ichiro Murata (Freie Universität Berlin)

Zeitlicher Verlauf des Werkschaffensprozesses – Der Werkschaffensprozess ist nicht immer teleologisch

Wie lässt sich der zeitliche Ablauf eines Werkschaffensprozesses beschreiben? Sind Produktionsprozesse teleologisch erklärbar?
Der Unterschied zwischen dem, was wir gerade erschaffen und dem, was wir schon geschaffen haben, ist wichtig. Niemand kann vor Beginn des Werkschaffensprozesses wissen, wie das Kunstwerk aussehen wird.
Der teleologisch dargestellte Werkschaffensprozess ist ein zeitlich linearer Prozess: Das Ziel wird am Anfang gesetzt, das Werk in zielgerichteter Weise realisiert.
Im Sinne des „Hermes im Stein“ (Aristoteles) existiert die intendierte Figur bereits im Stein. Michelangelo könnte seine Skulptur im Marmorblock vorweg ‚gesehen haben und seine Aufgabe war, sie aus dem Stein ‚herauszunehmen‘.
Doch der Film von H.G. Clouzot Le Mystère Picasso über dessen Werkschaffensprozess verweist auf das Gegenteil: Picasso malt ohne festgelegtes Ziel. Aus der Betrachtung des entstehenden Bildes erwachsen Anregungen für das weitere Werkschaffen. 

Dietmar Jürgens (Katholische Fachhochschule NW, Standort Köln)

Aus dem Augenblick heraus: gestaltete Zeit in der polyästhetisch-heilpädagogischen Begegnung

Die folgenden, für das Handlungsfeld „Polyästhetische Heilpädagogik“ zentralen Aussagen liegen u.a. den Betrachtungen zu ‚gestalteten Situationen‘ und ‚Beziehungsgestaltung‘ zu Grunde:

  • Heilpädagogik kann im Sinn von Ferdinand Klein und Gerhard Neuhäuser als „dialogische Erziehung“ (Ferdinand Klein et al., Heilpädagogik als therapeutische Erziehung, München und Basel 2006) verstanden werden. Rhythmus, Raum/Zeit und Dialog sind in diesem Zusammenhang als sinnlich erfahrbare Erscheinungsbezüge des Menschen in seiner Zeit zu sehen.
  • Polyästhetisch-heilpädagogische Situationen verfolgen auch aus der Perspektive zeitlicher Abläufe das Leitziel eines mehrsinnigen und sinndeutenden Erfahrens von Welt in Bezug auf die personale Bildung des Menschen mit Behinderung.
  • „Ich bin da, jetzt, und es ist gut!“ (Gertrud Orff, Schlüsselbegriffe der Orff-Musiktherapie, München 1990, S. 93) ist die wie auch immer zum Ausdruck gebrachte Bekundung eines Menschen über eine als gelungen empfundene Gestaltung einer polyästhetisch-heilpädagogisch geleiteten Situation.